Leben im Umland: Dornröschen wohnt hier nicht mehr

Quelle: Der Tagesspiegel, Reinhart Bünger, 15. Dezember 2020

Die Artprojekt-Gruppe engagiert Stararchitekt Chipperfield und macht Bad Saarow zu Berlins Vorort für Weltbürger

„Ein Haus, geräumig-klein, ein Traumgehäuse, sanft hingelehnt an den Scharmützelsee“, so beschrieb der expressionistische Dichter und SED-(Kultur-)Politiker Johannes R. Becher (*1891) sein kleines Paradies in Bad Saarow, seinen Sommersitz. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg hatten Prominente wie Max Schmeling, Anny Ondra, Harry Liedtke und Käthe Dorsch hier ihre Refugien. Von 1948 bis zu seinem Tod im Oktober 1958 nutzte Becher das auch für damalige Verhältnisse bescheidene Wassergrundstück als Ruhepunkt. Es war von Berlin aus in einer Stunde schnell zu erreichen. Siebzig Kilometer von der „Hauptstadt der DDR“ entfernt, freute sich die FdJ nach dem IX. Parteitag der SED (18. – 22. Mai 1976) über die Errichtung eines großen Jugenderholungszentrums. Für die Werktätigen gab es Erholungsgrundstücke en masse.

Nach der Wende fiel Bad Saarow zunächst in einen Dornröschenschlaf, verfiel auch, erinnerte an die Zeiten Theodor Fontanes, der den Scharmützelsee als die schönste Perle in der Seenkette der Mark nannte.

Seit einigen Jahren ist Bad Saarow zurück als Villenvorort der Weltbürger. Thomas Hölzels Berliner Artprojekt-Gruppe investiert hier 130 Millionen in das Marina Resort. Zuvor hatte Hölzel zwischen historischem Bahnhof, Kurpark und Thermalbad fünf durch eine überdachte Kolonnade barrierefrei verbundene Einzelgebäude mit Miet- und Eigentumswohnungen, sowie Kino, Gastronomie und kleinen Läden errichtet.

Nun also werden die Marina und das historische Strandbad Neptun modernisiert, ein Segelclub für Anwohner und Wassertouristen geschaffen und in Teilbereichen mit Sandstrand und Badeinsel mit Zugang für die Öffentlichkeit revitalisiert.

In Planung ist in einem zweiten Bauabschnitt ein Fünfsterne-Hotel mit 90 Zimmern, das aus der Feder Sir David Chipperfields stammt. Der britische Stararchitekt arbeitete bereits vor fünf Jahren mit der Artprojekt-Gruppe beim Berliner Stadtpalais Varnhagen (Französische Straße 56-60) zusammen. Für das Marina Resort zeichnete er auch fünf kubische Häuser in einem privaten Kiefernwald, der zum See abfällt. In vier Drei- bis Viergeschossern aus dunklem Holz werden 45 Eigentumswohnungen entstehen, ein fünfter, zweigeschossiger Bau ist für acht weitere Eigentumswohnungen gedacht. Die Eigentumswohnungen sind zwischen 50 bis 230 Quadratmeter groß und haben 2,70 Meter hohe Räume, teilweise sind sie sogar 8,50 Meter hoch. Der Baubeginn ist für Anfang 2021 geplant.

Die Infrastruktur gibt es schon

Eitel Sonnenschein also am Scharmützelsee angesichts dieser Ausmaße an Luxus und Eleganz? Eigentlich ja, sagt Axel Hylla, ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Bad Saarow: „Die Infrastruktur, die Straßen sind ja grundsätzlich da – deswegen ist es sinnvoll, diesen Standort für Tourismus, für Wohnen aber auch für die Naherholung – man denke an das Strandbad, das wiedereröffnet wird – zu nutzen.“ Er kenne viele, sagt der Linken-Politiker, „die sich darauf freuen und bedauern, dass dort nicht mehr dieses Leben ist, das dort früher einmal war“.

Früher? Früher gab es Pionierlager mit teilweise tausenden von Menschen. „Meine Schwiegermutter hat in den sechziger Jahren auf einem Pachtgrundstück gebaut“, erinnert sich eine Berlinerin, die Haus und Lage immer noch sehr genießt. Kaufen konnte sie das Grundstück mit ihrer Familie nach der Wende nicht. Eine Familie aus Bayern machte Restitutionsansprüche geltend und dürfte sich über steigende Grundstückspreise freuen. Der Kurort hatte und hat nicht nur Schokoladenseiten, sagt die Hauptstädterin: „Es gab vor 1933 auch viele jüdische Eigentümer. Bad Saarow hat sich bemüht, möglichst schnell judenfrei zu werden. Heute gibt es eine rechte Szene mit Corona- Leugnern.“ Erst am 4.12.2020 schloss der Landkreis Oder-Spree eine Gaststätte in Bad Saarow, die offensichtlich von einem „Reichsbürger“ betrieben wird. Er hatte das Restaurant trotz des bundesweiten Teil-Lockdowns offengehalten. Aber das Artprojekt sei schon toll, sagt die Frau aus Berlin, die hier ihr Wochenendgrundstück hat. „Aber es ist auch so, als ob hier ein Ufo landet.“ Die „Berliner Zeitung“ beschlich angesichts des Marina-Projektes gar ein Gefühl der Kolonialisierung an diesem Kindheitsort der Journalistin Sabine Rennefanz: „Sicher, der Strand war etwas verwildert, im Wald standen ein paar zerfallene Hütten. Aber musste man gleich eine Luxusanlage hinstellen?“

Ja, durchaus, findet Bürgermeister Hylla: „Das ist heute alles ein bisschen verschlafen“, sagt auch er. Aber: „Ich glaube, die meisten bedauern, dass es dort so ruhig ist. Es mag Stimmen geben, die finden, dass Bad Saarow Strand noch länger im Dornröschenschlaf liegen könnte. Aber die große Mehrheit der Gemeinde findet und der offizielle Weg der Gemeinde ist, dass wir uns wünschen würden, dass dieser Ortsteil wieder belebt wird. Und da sehen wir das Projekt als einen Baustein.“ Die Quadratmeterpreise am Friedrich-Engels-Damm 125 beginnen laut „Immobilienscout“ bei 7083 Euro. „Der Trend geht weiter in dieser Richtung und wir müssen genau darauf achten, welche Effekte das so mit sich führen kann“, sagt der Bürgermeister: „Auch mit Blick auf die soziale Durchmischung. Aber grundsätzlich sehen wir auch Chancen.“

Massentourismus ist in Bad Saarow nicht vorgesehen

Das Projekt bringt Arbeitsplätze und neue Bevölkerung nach Bad Saarow. „Der Bau von preiswerten Wohnungen wäre durchaus wünschenswert“, sagt der Bürgermeister.

„Im Marina Resort selbst entstehen keine vergünstigten Wohnungen“, sagt auf Anfrage Thomas Hölzel, Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter von Artprojekt: „Im Kontext des umfangreichen Nachhaltigkeitsprogramms unserer Hotelentwicklung planen wir allerdings ein attraktives und bezahlbares Mitarbeiter-Dorf, um gute Mitarbeiter und deren Familien anzuziehen und zu halten. Wir würden zudem gerne bezahlbares Wohnen zusammen mit der Gemeinde auch noch an anderer Stelle errichten, da der an sich wohlhabende Ort als Kurort ja stark von Menschen mit geringerem Einkommen lebt, also Menschen, die im Tourismus, im Einzelhandel oder im Klinikum arbeiten.“ So gebe es rund 2000 Pendler, die sich Bad Saarow nicht leisten können und die täglich nach und von Bad Saarow kommen. Schlecht für das Klima, schlecht für den Verkehr und auch für den Einzelhandel, finden Hylla und Hölzel unisono. „Das ist auch ein Grund, weshalb Saarow-Strand gestärkt werden soll“, sagt Hylla. „Denn die Ostseite mit der Landstraße ist schon ziemlich stark befahren für einen Kurort. Jede Fahrt, die vermieden werden kann, weil zum Beispiel ein Angestellter zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Arbeitsstelle kommt, wäre positiv zu sehen.“

Ist Thomas Hölzel nach diesen umfangreichen Engagements also nun fertig mit Bad Saarow? „Nein“, sagt er: „Wir haben noch weitere Grundstücke in Bad Saarow, unter anderem an der Pieskower Straße. Dort wollen wir ein nachhaltiges Mehrgenerationenprojekt – „Märchengrund“ – entwickeln und die Idee der Villenkolonie fortsetzen. Mit Thomas Albrecht als Architekt wollen wir mit der Natur bauen, das heißt einen Großteil der vorhandenen Bäume erhalten und zum Teil auch umsetzen. Dieses Projekt soll in Holzbau entstehen. Zudem entwickeln wir die vor zwei Jahren erworbene Traditions-Fischerei Köllnitz zu einem Naturerlebnispark. Hier planen wir nachhaltigen Qualitätstourismus, keinen Massentourismus. Unter anderem sind in Kooperation mit der Heinz-Sielmann-Stiftung und dem NABU ein Vogel-Beobachtungspfad durch die Baumkronen und ein Vogelpark geplant“, sagt Hölzel.